Sonntagsgedanken


14.04.2024

Freude des Wiedersehens

Ist es denn zu fassen? Auf einmal ist Er einfach da, ungefragt, unerwartet, urplötzlich. Er klingelt nicht an der Tür, klopft nicht an, er bittet nicht um einen Termin. Er kommt ohne fremde Hilfe und schenkt einer schwer angeschlagenen Gemeinde eine unangekündigte Visite, feiert mit ihnen eine überraschende Begegnung. Er bringt ihnen den Frieden – und löst damit zunächst Panik aus und dann das Wunder: Furcht verwandelt sich in Freude. Dieser Besucher ist „erschrecklich“. Der Gast und sein Gruß kommen auf die Jünger von außen zu, wie aus heiterem Himmel, ohne jede Vorwarnung als „Schocktherapie“, Krisenbewältigung. So zeigt er seiner Kirche, wer der Herr im Haus ist und die wahre Schlüsselgewalt hat. Niemand muss ihm auftun. Das Gesetz des Handelns ist der Kirche von Anfang an genommen! Das, was rettet, kommt auf uns zu. Er kommt, wie es in einem Lied im alten Gotteslob heißt, „wann niemand nach ihm fragt/ noch es für möglich hält“ (GL alt 567,2). Auf einmal gibt es ein unverhofftes Wiedersehen. Das ist der Tag des Herrn. Von diesem Augenblick mit Ihm lebt die Kirche bis heute. Schön, wenn es Emmausjünger gibt, die etwas von ihm zu erzählen haben – aber noch schöner, wenn er sich uns zu erkennen gibt, zum Augenöffner wird und uns etwas zu essen gibt. Ohne sein Dazwischentreten wäre alles nichts. Die Erstkommunion wäre eine fromme Folklore, „Kinderweihe“. Dann wären Priester, Sakramente und solche Gottesdienste überflüssig wie ein Kropf. Die Kirche wäre ein andächtiger Jesus-Gedächtnisverein. Ja, wenn Er sich nicht einmischte in unsere Gespräche und in meine Selbstgespräche, dann fehlte all unseren Feiern und Treffen das Entscheidende. Dann schmorten wir permanent im eigenen Saft, und wir würden verkommen zum frommen Debattierclub; dann verfingen wir uns in Strukturfragen und ödeten uns irgendwann an. Also: Kirche gibt es nur, weil es das Ostern Gottes für Jesus gibt und weil der Auferweckte uns besucht. Das ist die Definition von Kirche: Sie ist die – trotz allem! – von Jesus besuchte, aufgesuchte Gemeinde. Jesus wiederholt sich nach dem Zeugnis des Lukas 40 Tage lang, im Grunde durch die ganze Geschichte unserer Kirche hindurch. Wir müssen achtgeben, dass uns sein Besuch nicht langweilt, dass wir seiner nicht überdrüssig werden oder meinen, es geht auch ganz gut ohne ihn. Zwei Wochen nach dem schönsten Fest des Glaubens muss ich womöglich ehrlich einräumen: Mir ist nicht (mehr) nach Ostern zumute; mir fehlt der lange Atem für dieses Fest, mir liegt das Halleluja zwar auf den Lippen, aber nicht auf dem Herzen. Gerade darum: „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast!“ Wir leben von der Freude des Wiedersehens mit Ihm. Seine Störungen haben Vorrang! Dieser Gast ist anders als unsereins; dieser Besucher kommt, um zu bleiben. Und so geheimnisvoll, wie er kommt, so kann nur Er kommen und Erscheinung feiern. Heute wird das Berührungsverbot aufgehoben, das für Maria Magdalena (Joh 20,17) galt: Ihr Apostel dürft mich anfassen; ob sie es taten und den Unfassbaren wirklich berührten, das bleibt offen.

Der, den die Jünger zunächst mit einem Gespenst verwechseln, ist der vom Kreuzestod schwer Gezeichnete. Glaube ist kein seichtes und sentimentales Gefühl; Glaube hat Hand und Fuß, Fleisch und Knochen. Und der, der uns glauben lässt, trägt Wundmale, lässt sich mit nie ausheilenden Narben sehen. Es dämmert den Jüngern, dass Er es ist, der in ihnen eine „heilige Wandlung“ bewirkt. Eine eher blinde Gesellschaft Jesu wird sehend, Verschreckte werden mit Freude erfüllt; Vergesslichen gräbt er sich in ihr löchriges Gedächtnis ein; eine irgendwie untaugliche kirchliche Männergesellschaft wird zwar nicht zur ekstatischen Halleluja-Gemeinde, doch sie wird verwandelt zu wahrhaft Betroffenen, Staunenden, Zeugen. Ostern feiern wir Sonntag für Sonntag, weil auch es mir so schwerfällt, Ostern zu glauben. Durch Ostern allein kann die Kirche aus ihrem Krisenloch herausgeholt werden, aus ihrer Rezession, ihrer Depression. Aus diesem Tal kommen wir nicht durch selbst verordnetes positives Denken heraus, auch nicht durch noch so ausgefeilte Strukturreformen. Allein wenn Er erscheint, geschieht das Wunder der Wandlung.

ER, unser Augenöffner

Er kommt nicht zu Leuten, die es „verdient“ haben, also nicht als Belohnung für lang gediente Mitarbeiter/-innen. Er kommt damals wie heute zu einem seltsamen Haufen; Osterglanz fällt auf eine eher trübsinnige Gurkentruppe. Allesamt waren die Jünger treulos, feige, ängstlich, vergesslich, überraschungsresistent. Sie können das Osterleben Jesu nicht für möglich halten. Wie auch? Wenn er bei seiner Kirche zu Besuch ist, dann ist sein Kommen auch Vergebung, wird zur Überraschung, erteilt er Bibelstunde, Nachhilfeunterricht für Begriffsstutzige. Ostern ist wie eine Blindenheilung. Jesus greift in apostolische Augen, um ihnen „Osteraugen“ (Klaus Hemmerle) zu verleihen. Ohne diesen Eingriff Jesu in unsere Herzen und Augen wäre Ostern bloß eine Autosuggestion, eine gruselige Geistererscheinung, eine Halluzination, eine billige Vertröstung. ER muss sich an der Skepsis seiner Apostel, an ihrem Nichtbegreifen-können abarbeiten. Sein Kommen ist sonntägliche Schwerstarbeit an aufgescheuchten Seelen.

Es riecht nach Fisch

Wenn ER kommt, dann wird kein altbekannter Kumpel begrüßt; seine Ankunft in der Mitte der Apostel versetzt die Jünger am Ende genauso in Schrecken wie die Weihnachtshirten am Anfang des Evangeliums. Ein wenig Gottesschrecken, Ehrfurcht schadet nicht! Ostern stehen wir nicht unter dem moralischen Druck, erlöster aussehen zu müssen! Er nähert sich den elf Aposteln nicht Schritt für Schritt als geheimnisvoller Fremder an, wie es den beiden Emmausjüngern passierte; er konfrontiert sie ziemlich abrupt mit seiner Präsenz. Wenn er erscheint und die Mitte besetzt, dann wird unsere Kirche quasi aus der Taufe gehoben. Wir lernen es im Frühling, der sich nun leise bemerkbar macht. Das Entscheidende wächst uns lautlos zu, wie das Blütenwunder des Frühjahres.

Ostern mit allen Sinnen! Ostern gibt es, zumindest nach Lukas, Ungewöhnliches zu sehen und zu schnuppern. Es riecht nach knusprigem Fisch. Wir sehen den essenden Jesus. Eine Notiz des Evangelisten, die vielen Schriftauslegern eher peinlich ist. Ein bedenkenswerter Moment: der Herr, dem die Kirche etwas reicht, weil er sie darum bittet. Das Schöne an den Erstkommunionfeiern ist ja, dass es für die Kinder etwas zum Sehen, Anfassen und Kosten gibt; keinen toten Reliquienknochen, sondern den eucharistischen Osterleib des Herrn höchstpersönlich. „Du bist so menschlich in unserer Mitte“ (GL 414,2). Kostet, seht und schmeckt, wie gütig und nahbar der Herr ist! So wie die Jünger im Obergemach dabei sein durften, als er, der Erhöhte, aß, so dürfen wir mit ihm heute sein Osterbrot teilen, in das er auferstanden ist, in das er sich hineingekniet hat. Gebrochen, verwundet, lautlos tritt er in unsere Mitte und zeigt sich darin von seiner, von Gottes bester Seite: als ungeschminkte und essbare Wahrheit. Er sucht heute Staunende, die sich seinen Besuch gefallen lassen und denen er Zeugenschaft zutraut. Diese Zeugen müssen nicht wortgewaltig sein, nicht im Hallelujarausch abheben oder alle Zweifel hinter sich lassen. Nein, staunende Zeugen, die akzeptieren: ER ist anders als Sie und ich! Und gerade deshalb kann er dir und mir näher kommen, als wir uns jemals nahe kommen können. Während ich hier predige und wir uns hier versammeln, beten und singen oder einfach nur präsent sind – da ist er längst unmerklich in unsere Mitte getreten, bringt uns seinen Frieden, bittet um unseren Glauben, unseren Willkommensgruß, unser Credo, das Bekenntnis zu seiner Auferweckung. Ich wünsche uns, dass uns das Wasser im Mund zusammenläuft und wir hungrig werden nach dieser Wahrheit, die Hand und Fuß hat.

Kurt Josef Wecker


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