Wir wollen Ihnen die Möglichkeit geben, die Gedanken des vergangenen Sonntages noch einmal zu studieren und einwirken zu lassen, während wir uns bereits auf den nächsten Sonntag vorbereiten! An dieser Stelle sollen nicht einfach nur Predigten veröffentlicht werden, sondern die Überlegungen zu einem Predigtthema immer eines anderen Priesters unserer Pfarreien St. Maximilian und Heilig Geist zum Nachlesen ermöglicht werden. Vielleicht ist da ein Satz oder eine Idee, die Sie die ganze Woche begleiten kann. Immer nach einer Woche wird dann dieser Text von der Website heruntergenommen und mit einem neuen Text aktualisiert. Wir wollen immer möglichst nah dran sein am letzten Sonntag und dafür danken allen Geistlichen unserer beiden Pfarreien, die sich an diesem Dienst für Sie beteiligen.
04.06.2023
Ich erinnere mich an ein Seelsorgegespräch, das mein Gesprächspartner mit dem Satz begann: „Ich hatte einen Traum“. Dann erzählte er: In meinem Traum betrat ich einen großen Raum, in dem drei Tische aufgestellt waren. Ich sollte mir den Tisch aussuchen, an dem ich am liebsten Platz nehmen wollte.
Der erste Tisch war gedeckt mit auserlesenen Speisen. Es lockte mich, dort Platz zu nehmen. Hier waren Menschen, die froh aussahen. Sie begrüßten mich. Und bevor sie anfingen zu essen, hielten sie inne, verneigten sich und bedankten sich für den gedeckten Tisch. Hier bin ich richtig, dachte ich, hier wird gebetet. Hier herrscht Ehrfurcht und Dank. Hier wissen Menschen, dass sie Geschöpfe sind und dass Gott ihnen die Gaben seiner Schöpfung schenkt.
Doch als ich mein Besteck in die Hand nehmen wollte, hörte ich eine Stimme sagen: Bevor du dich entscheidest, geh auch an die anderen Tische und schau, welcher der deine ist. Also stand ich auf und ging an den nächsten Tisch. Hier waren Menschen verschiedener Hautfarben, Reiche und Arme, Bedürftige und Gesunde. Sie redeten miteinander und einer kümmerte sich um den anderen. Ich spürte Fürsorge und Liebe und wollte bleiben.
Aber wieder hörte ich die Stimme sagen: Geh auch an den dritten Tisch. Hier war es ganz still. Und obwohl alle schwiegen, war eine große Gemeinsamkeit spürbar. Es war, als wäre da eine besondere Luft, eine Atmosphäre, die ins Herz geht. Etwas, was alle verbindet – ohne viele Worte und ohne große Aktivität. Auch hier fühlte ich mich wohl und spürte, wie ein großer Friede bei mir einkehrte. Doch da standen alle am dritten Tisch auf, gingen zu den Menschen an den anderen Tischen und riefen ihnen zu: Lasst uns die Tische zusammenstellen und aus den drei Tischen einen einzigen großen Tisch machen. Wir gehören zusammen. Wir brauchen einander. ... Und so machten wir es. Und als wir im Traum die Tische zusammenrückten, erwachte ich.
Im Evangelium von heute wird uns das großartige Nachtgespräch, das Jesus mit dem Gottsucher Nikodemus führt, berichtet. Da stehen Sätze, die eine Art Zusammenfassung des ganzen Evangeliums sind:
„Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird. Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er nicht an den Namen des einzigen Sohnes Gottes geglaubt hat.“ (Joh 3,16-18)
Wer ist dieser Gott? Wie finden wir zu ihm? Dies war die Frage des Nikodemus, der zu Jesus kam. Nikodemus war ein zutiefst religiöser Mensch. Die Frage nach Gott bewegte ihn ein ganzes Leben lang. Und auch die Frage nach einem guten Leben. Er suchte Antwort. Und zugleich spürte er, dass Antworten zu wenig sind. Antworten befriedigen den Verstand. Aber die Unruhe des Herzens bleibt. In dieser Unruhe begegnete Nikodemus Jesus und spürte: Hier ist mehr als eine Antwort. Hier ist Leben. Gott ist und bleibt Geheimnis. Wir können nur ehrfürchtig schweigen und ihm danken. Aber Gott ist auch Liebe und Hingabe. Gott gab seinen einzigen Sohn, damit die Welt gerettet werde.
Da sind wir bei den Tischen aus dem Traum. Für mich sind sie ein Bild für das Wesen Gottes. Er ist wie der große zusammengerückte Tisch. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind im Wesen ein einziger Gott und doch wendet sich uns Gott in verschiedener Weise zu. Es ist der Gott<vt:comment>, an dessen Tisch wir die Schöpfung und ihre Gaben empfangen. Es ist der Tisch, an dem Fürsorge und Hingabe das Tun bestimmen. Und es ist der Tisch, an dem das stille Hören auf den Geist Frieden schafft. Der Tisch, der dazu bewegt, aufzustehen und zusammenzurücken.
Wir sind eingeladen, am großen Tisch Gottes Platz zu nehmen. Dann werden wir, wie es im Traum die Menschen am ersten Tisch tun, in Dank und in Ehrfurcht von den Gaben Gottes nehmen. Wir werden, weil wir um das Geschenk der Schöpfung wissen, nicht eigenmächtig als Herren und Herrinnen über diese Gaben verfügen. Ehrfurcht und Dank verpflichten zur Verantwortung. Es ist an uns, die Güter der Erde so zu erhalten, dass sie auch den späteren Generationen zur Verfügung stehen.
Wenn wir Platz nehmen an dem eins gewordenen Tisch Gottes, dann werden wir auch die Aufgabe der zweiten Gruppe übernehmen. Wir können nicht anders als im Sinn Jesu unser Leben zu teilen. Er kam, uns zu retten. Uns alle. Mit uns Menschen auch die anderen Geschöpfe. Sie gehören mit an den Tisch. Wir beginnen zu begreifen, dass die Hingabe und Rettungstat Jesu jede Exklusivität verbietet. Am Tisch Gottes spüren wir die hohe Verantwortung allen Geschöpfen gegenüber.
Es ist der Heilige Geist, der uns einlädt zu schweigen und hinzuhören. Es ist der Geist, der in uns betet und uns einlädt aufzustehen und zusammenzurücken. Wenn wir auf ihn hören, spüren wir: Die Tische gehören zusammen, die Tische der Gottgläubigen und der Suchenden, die Tische der Liebenden und der Fürsorglichen.
Das Fest der Heiligsten Dreifaltigkeit ist das Fest der verschiedenen Tische, die zum einen Tisch werden, an dem Gott uns bedient. Im Reich Gottes, so sagt Jesus, wird es einmal nur einen einzigen Tisch geben. Und schon heute feiern wir in der Eucharistie zeichenhaft das eine Mahl, das uns alle verbindet. An diesem Tisch, dem Altar, essen wir von dem einen Brot und trinken aus dem einen Becher. Von diesem Tisch aus gehen wir hin in die eine Welt – wir gehen zu den vielen Tischen, auch und vor allem zu den Tischen der Einsamen, der Armen, der Suchenden und der Verlassenen. Es ist der Traum Jesu, dass alle Tische zusammengerückt werden und den einen Tisch bilden, an dem die Geschöpfe alle ihr Glück finden in der Liebe des Dreifaltigen Gottes.
Helmut Schlegel