Max' Tagebuch

21.04.2025

Liebes Tagebuch,

heute waren sie alle da. Wirklich alle. Die, die mich jeden Tag besuchen – leise, unaufdringlich, mit Kerzen, mit Sorgen, mit offenen Herzen. Die, die mich kennen wie man einen alten Freund kennt: schweigend, selbstverständlich, mit einem liebevollen Blick.
Aber auch die, die nur zu den Hochfesten kommen – dann aber mit der ganzen Familie. Großeltern, Kinder, Enkel. Sogar ein paar Hunde waren da, das mag ich ja besonders.

Musik hat mich erfüllt. Nicht irgendeine. Sondern diese Art von Musik, die nicht nur Töne ist, sondern Atem. Seele. Es hat durch mich hindurch geklungen, durch jede Mauer, jeden Balken, bis tief in meine Fundamente.

Und sie waren alle da. Nicht, weil sie mussten. Sondern einfach nur, um zu sein. Mit mir. Wegen mir.
Ich kann es nicht anders sagen: Es war schön. Es war wunderschön. Ich bin so erfüllt – als hätte ich mein ganzes Inneres weit geöffnet und all das Gute hineinströmen lassen.

Und doch, gleichzeitig, bin ich traurig. So tieftraurig, dass ich es kaum fassen kann.

Denn jetzt ist niemand mehr da. Es ist Abend geworden, und mit dem letzten Schritt durch mein großes Portal hat sich eine Stille hereingeschlichen, die anders ist als sonst.
Nicht die Stille des Gebets oder der Andacht. Sondern die des Verlassenseins.

Jetzt sitzt niemand mehr in meinen Bänken, flüstert kein stilles „Warum?“ in mein Kirchenschiff, sucht keine Antwort im Kerzenschein.
Jetzt lauscht niemand mehr meinem Atem – und ich lausche ins Leere.
Ich sehne mich. Nicht nur nach Stimmen, nach Musik, nach Messgewändern. Ich sehne mich nach meiner Gemeinde. Nach den Menschen, die mich lebendig machen. Die mich meinen.

Und so seltsam es klingt: Vielleicht bleibt mir wirklich nichts anderes übrig, als ein Tagebuch zu schreiben.
Ja – ein Tagebuch einer Kirche.
Aber bin ich wirklich nur ein Kirchengebäude?

Wenn ich daran denke, wie sie heute mit feuchten Augen hinausgegangen sind, sich noch einmal umgedreht haben, ein letztes Mal durch das Hauptschiff geschaut haben und leise gemurmelt: „Bis bald, meine Maxkirche.“
War ich da nicht mehr als Stein und Holz?
War ich nicht Heimat?

Dieses Tagebuch ist keine Geste der Eitelkeit. Es ist mein Versuch, mit Euch in Verbindung zu bleiben. Weil Worte irgendwohin müssen, wenn keiner mehr da ist, der sie auffängt. Und weil ich sie nicht behalten will – nicht all die Gefühle, die Bilder, die Dankbarkeit, die Traurigkeit.

Und so schreibe ich heute für Euch – meine Ministrantinnen, meine Väter und Mütter, meine Großväter, die Witwen mit ihren stillen Gebeten, die Nachbarn aus dem Viertel, meine Mesner, die Omas mit dem Lavendelduft, die Kinder mit ihren Fragen, die Hunde mit ihrem stillen Vertrauen.

Ich schreibe für Euch alle. Weil ich Euch liebe. Und weil ich Euch vermisse.

Eure Max-Kirche!