Liebe Abendzeitung,...

„Habt Ihr Angst vorm schwarzen Mann?“ haben wir uns als Kinder zugerufen. „Nein! Natürlich nicht!“ war die gemeinsame Antwort – und dann sind wir doch davon gelaufen. Sarrazin und Konsorten haben eine Migrationsdebatte bei uns ausgelöst, auf die viele Leute prompt wie im Kinderspiel reagieren. Laut ist das prophetische Wehklagen geworden. Der Islam scheint wie im 15. und 16. Jahrhundert wie eine blutrünstige Walze vor den Toren Europas zu stehen. Wehe also dem, der den Eintritt der Türkei in die EU unterstützt! Dann gibt’s kein Entrinnen mehr. Das gute christliche Abendland steht praktisch schon vorm Untergang.
Und jetzt? Sollen wir wieder mittelalterliche Religionskriege führen? Oder geht’s vielleicht auch mit ein bisschen mehr kultureller Aufklärung und religiöser Toleranz? Das bedeutet dann schon viel mehr, als das geschundene „Multi-Kulti“ meint. Es kann nur um die Vielfalt und den Reichtum der verschiedenen geschichtlichen Traditionen wegen gehen. Unterschiedliche Religionen sollten sich geradezu überbieten im gegenseitigen Wettbewerb, um im Geist der Nächstenliebe dem Menschen dienstbar zu sein und ihn so für die gemeinsame Sache zu gewinnen. Nur so funktioniert ein fruchtbares Miteinander. Abgrenzung und Angst waren schon immer schlechte Ratgeber und Davonlaufen geht gar nicht. Das hier ist eben kein Spiel mehr.